Migration und Selbsthilfe
In Deutschland gibt es ein breites Angebot zur persönlichen Beratung und Unterstützung für Betroffene oder Angehörige, die mit einer Diagnose Ihres Gesundheitszustandes konfrontiert werden. Ein zusätzliches Angebot neben der ärztlichen Betreuung und Behandlung ist die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Die gesundheitsbezogene Selbsthilfe ist in Deutschland historisch gewachsen und aufgrund ihrer oft föderalistischen Strukturen nahezu flächendeckend vorhanden: Aktuell gibt es schätzungsweise zwischen 70.000 und 100.000 Selbsthilfegruppen zu gesundheitlichen und sozialen Themen mit über 3 Millionen Engagierten. Unsere Gesellschaft wird immer diverser und sollte im Sinne eines breiten Verständnisses von Inklusion ihre Arbeit so ausrichten, dass sich prinzipiell alle Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und deren Angehörige angesprochen fühlen. Dazu gehört beispielsweise auch, Menschen mit eigener Migrationsgeschichte und einer anderen Muttersprache als Deutsch Angebote zu machen. Im Sinne eines inklusiven und selbstbestimmten Ansatzes sollte jeder Mensch, Gesundheitsinformationen in der eigenen Muttersprache beziehen können und nicht zuerst Deutsch auf sehr hohem Sprachniveau beherrschen müssen, um komplizierte medizinische Begriffe und Zusammenhänge verstehen zu können. Mithilfe des Projektes und der finanziellen Förderung des BKK Landesverbands Mitte konnten wir verstärkt die Thematik Migration und Selbsthilfe aufgreifen und in gemeinsamer Kooperation Menschen mit Migrationshintergrund in der Selbsthilfe einbeziehen.
Hierzu ein Kommentar von Dr. Susanne Konrad. Sie ist Autorin und Kulturaktivistin mit den Schwerpunkten Inklusion und Migration. Sie ist im Organisationsteam der Frankfurter Immigrationsbuchmesse und war mehrere Jahre Vorsitzende des interkulturellen „Literaturclubs der Frauen aus aller Welt“. Im Jahr 1999 veranstaltete sie die interaktive Ausstellung ‚Unerwünscht - Eine Reise wie keine andere‘ von SOS Rassismus-Zivilcourage mit.
Kommentar Dr. Susanne Konrad: Die Selbsthilfe für die Integration öffnen
Selbsthilfe aufgrund von chronischen Krankheiten und Behinderungen ist ein wichtiges Angebot, das von vielen Betroffenen gern angenommen wird. Dennoch sind unter ihnen nur wenige Migrant*innen. Woran liegt das? Neben allgemeinen Sprachbarrieren sind es vor allem weiterreichende Unterschiedlichkeiten in der Kommunikation. Manche Menschen finden es aus religiösen Gründen unangemessen, öffentlich über ihre gesundheitlichen Probleme zu sprechen. Anderen sind Kommunikationsformen wie zum Beispiel in einer Gruppensituation, fremd, wo man im Gesprächskreis Ich-Botschaften offenbart. Uninformiertheit und die Angst vor dem komplexen deutschen Gesundheitssystem können auch eine Rolle spielen.
Viele Migrant*innen organisieren sich in Vereinen. In der Community können Kulturgüter gepflegt werden, die in der Aufnahmegesellschaft nicht verstanden werden, und die Muttersprache wird gesprochen. Aber auch politisches Engagement wird in Migrantenorganisationen ausgeübt, um sich als Minderheit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu positionieren. In ihrer eigenen Community zu sein, genügt vielen Menschen mit Migrationshintergrund zunächst einmal. In eine gesundheitliche Selbsthilfe zu gehen, würde für viele eine eigenartige Überschneidung bedeuten.
Aber wie kann man diese Vorbehalte mindern? Was können gesundheitsbezogene Selbsthilfeorganisationen tun, um einen Schritt auf Migrant*innen zuzugehen, sie quasi „abzuholen“?
Eine Möglichkeit sind Informationsabende, zu denen Vertreter*innen von Migrantenorganisationen eingeladen werden. Sie erhalten Informationen aus erster Hand, die sie an ihre Mitglieder weitergeben können. Private Austauschgespräche können angebahnt und später aufgegriffen und vertieft werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe hat die mehrsprachige Wanderausstellung „Selbsthilfe und Migration“ entwickelt, wo den Menschen aus verschiedenen Kulturen vermittelt wird, was Selbsthilfe ist und was sie leisten kann. In vielen Fällen gibt es gar keine Begrifflichkeit dafür, sondern die Bedeutung von „Selbsthilfe“ muss neu beschrieben werden. Eine Idee für gesundheitsbezogene Selbsthilfeorganisationen ist, diese Ausstellung auszuleihen und sie in die Migrantenorganisationen hineinzutragen.
Die Mitgliedervereine der Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen Rheinland-Pfalz e.V. können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, sich für die Integration von Migrant*innen in die Selbsthilfe einzusetzen. Gesundheit geht uns alle etwas an. Es geht auch um Teilhabe. Sowohl Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen als auch Migrant*innen setzen sich auf ihre Weise für ihre Teilhabe an der Gesellschaft ein. Da ist es eine gute Perspektive, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Dr. Susanne Konrad, Schriftstellerin, Link zur Webseite: Link öffnet sich in neuem Fenster.
Wanderausstellung der BAG Selbsthilfe e.V.: Link öffnet sich in neuem Fenster.
Projektergebnisse 2021 und 2022: Broschüren in türkischer Sprache (gefördert mithilfe des BKK Landesverband Mitte):
© iStock.com/BravissimoS
Broschüre Aphasie zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster
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Broschüre Vaskulitis zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster
Türkçe dilinde Vaskülit teşhisi broşürü buradan indirilebilir, bağlantı yeni bir pencerede açılır.
Broschüre Ehlers-Danlos Syndrom zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster
Broschüre Spina bifida zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster
Türkçe dilinde spina bifida broşürü buradan indirilebilir, bağlantı yeni bir pencerede açılır.
Broschüre Nystagmus zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster.
Türkçe dilinde nistagmus broşürü buradan indirilebilir, bağlantı yeni bir pencerede açılır.
Broschüre Migräne zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster.
Türkçe dilinde migren broşürü buradan indirilebilir, bağlantı yeni bir pencerede açılır.
Broschüre Angeborene Herzfehler zum Download hier, Link öffnet sich in neuem Fenster.
Die LAG Selbsthilfe RLP e.V. hat zudem Frau Dr. Susanne Konrad zum Thema Migration und Selbsthilfe RLP e.V. interviewt.
Das ausführliche Interview finden Sie hier zum Download, Link öffnet sich in neuem Fenster.
Die Projektförderung im Jahr 2020 und 2021 erfolgte durch den BKK Landesverband Mitte. Vielen Dank für die Unterstützung!